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Neue Regeln im Landtag?

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Je dichter die Wahl in Hessen rückt, desto hitziger wird der Ton im Landtag. Das will etwas heißen in der Volksvertretung, die ohnehin den Ruf als «härtestes Parlament» der Bundesrepublik hat. Kaum ein CDU-Redner, der nicht SPD, Grüne und Linke als «schlechteste Opposition in Deutschland» schmäht. «Nichts erreicht und nichts mehr vor» lautet die Grünen-Endlosschleife gegen Schwarz-Gelb. Lügner, Flegel, Klamauk, unverschämt - diese Rufe hallten in den vergangenen Sitzungen vermehrt durch den Plenarsaal.

Das Regierungslager unter Führung von CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier und die Opposition mit dem SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel liefern sich vor dem 22. September ein Rennen Kopf an Kopf. CDU und FDP sind nervös, weil Umfragen zufolge der Machtverlust droht. SPD und Grüne wittern nach 14 enttäuschenden Oppositionsjahren Morgenluft. Die Linke kämpft darum, im Landtag zu bleiben.

   Jede Fraktion will jeden möglichen Treffer landen. Bouffier hatte bei seinem Amtsantritt 2010 einen neuen, versöhnlicheren Stil angekündigt, doch daran halten sich weder seine eigenen Leute noch die anderen.

Wie kommt der Streit beim Publikum an? Landtagspräsident Norbert Kartmann (CDU) hält den Umgangston der 118 Abgeordneten in Wiesbaden nicht für außergewöhnlich: «Das hessische Parlament ist in Summe nicht besser oder schlechter als andere Parlamente.» Trotzdem sind viele Zuschauer entgeistert, wenn sie den Plenarsaal verlassen.

«Das fällt zu oft auf die Politik als Ganzes zurück», vermutet der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Holger Bellino. Vize-Präsident Heinrich Heidel (FDP) mahnte bei einer turbulenten Sitzung im März, jeder Abgeordnete stehe in der Verantwortung, wenn «der Bürger sagt: Ich gehe nicht mehr wählen».

Natürlich sind die Plenarsitzungen Teil einer politischen Inszenierung: Man stellt die eigene Position dar und greift den Gegner an. «Wir müssen teilweise zuspitzen, sonst werden wir nicht wahrgenommen», sagt Bellino. «Aber ich würde mir mehr rhetorische Kreativität als Schreierei wünschen.» Dabei teilt auch er oft kräftig aus. «Irgendwann ist die politische Korrektheit zu Ende», gesteht er. «Aber was nicht geht, sind persönliche Angriffe.»

Einen solchen Angriff leistete sich im vergangenen Plenum der CDU-Abgeordnete Rolf Müller. Er beschimpfte den SPD-Vertreter Gerhard Merz als Autisten, als jemand, der es in seinem Leben nur zum Politiker gebracht habe. Sitzungspräsident Kartmann ließ den Auftritt ungerügt. Müller entschuldigte sich erst einige Tage später.

Die CDU habe sich wenig um die Rechte der parlamentarischen Minderheit geschert, meint SPD-Fraktionsgeschäftsführer Günther Rudolph. «Als Opposition haben wir uns unsere Rechte hart erkämpfen müssen.» Aber auch Rudolph ficht rhetorisch oft eine scharfe Klinge.

   Die bittere politische Auseinandersetzung in Hessen hat Tradition: Stets waren die Mehrheiten knapp, mehrfach wechselte die Regierung. Der Superlativ dürfte wohl auf Roland Koch zurückgehen, der als CDU-Fraktionschef die «härteste Opposition» gegen die rot-grüne Regierung von Holger Börner (SPD) führte. Trotzdem ging es im Landtag während des Wahlkampfs 2007 gesitteter zu, als es zwischen Koch und der SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti Spitz auf Knopf stand.

Minister sollen sich eigentlich staatstragend zurückhalten, doch Wirtschafts-Ressortchef Florian Rentsch (FDP) fing sich im März zwei Rügen ein. Er hatte Oppositionsabgeordneten den Verstand abgesprochen. Auch andere parlamentarische Gepflogenheiten sind ins Rutschen gekommen. Aus Zwischenrufen wurden Dauerrufe, Minister rufen von der Regierungsbank dazwischen. Redner werden schon gestört, wenn sie noch auf dem Weg zum Pult sind.

Wer ist schuld an der Zuspitzung? Immer die anderen - das behaupten beide Lager. Für die letzten zwei oder drei Sitzungen vor der Wahl hat Bellino wenig Hoffnung auf Besserung. «Aber danach müssen sich Präsidium und Ältestenrat zusammensetzen und einen verbindlichen und umsetzbaren Kodex ausarbeiten», sagt er. Dazu seien eventuell eine Klausur und ein Mediator von außen notwendig. «Es muss uns gelingen, diese Spitzen runterzupegeln.» Auch für SPD-Mann Rudolph ist klar: «Alle müssen abrüsten.»




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