Es wird wohl einer der letzten Besuche auf dem Henninger Turm werden. Ich bin mit Herbert Velte und Wolfgang Hannes von der WPV-Baubetreuung auf der Baustelle verabredet. Ich hatte erwartet, dass wir mit dem Bau-Aufzug außerhalb des ehemaligen Silos nach oben fahren würden. Doch zuerst werde ich in den ehemaligen Brauerei-Keller geführt. Über viel Schutt geht es über mehrere Treppen nach unten, bis wir an die großen gemauerten Tanks der früheren Mälzerei kommen. Hier wurde das Malz für die Bier-Produktion aufbereitet. Nur war es hier früher hell und fast lichtdurchflutet, wie auf Fotos zu sehen ist.
Maschinen rosten
Längst haben die gemauerten Tanks ihre Kacheln verloren, die Rührwerke dafür Rost angesetzt. Sie scheinen nur darauf zu warten, dass sie endlich herausgeholt und verschrottet werden. Auch jetzt kann man sich in dem dunklen Keller gut vorstellen, dass die Arbeit in der heißen und feuchten Luft bestimmt nicht so fröhlich verlief wie die Fotos in einer ehemaligen Unternehmensbroschüre glauben machen wollen. "Wir wissen von vielen Anlagen hier unten gar nicht, wie oder was sie zur Bierproduktion beigetragen haben", gesteht Herbert Velte.
Als wir wieder nach oben kommen, werden wir von der grellen Sonne zunächst geblendet. Der Führer einer der höchsten fahrbaren Kräne hat ausgeräumte Materialien aus dem Turm nach unten befördert und transportiert jetzt die Einzelteile eines großen Gerüstes nach oben. Als wir auf ihn zukommen, stellt er seine schräg gestellte Fahrerkabine senkrecht. Und erklärt uns seine Arbeitsweise in leicht sächsischem Dialekt: "Das machen wir alles per Funk. Wenn ich eine Anweisung nicht richtig verstehe, frage ich so lange nach, bis ich weiß, was gewollt wird".
Mit drei Männern der Abbruchfirma, die wie Bergsteiger ausgerüstet sind, fahren wir die 65 Meter bis zum früheren Restaurant im Industrie-Aufzug außen am ehemaligen rechteckigen Getreide-Silo mit dem markanten zylindrischen Aufsatz samt Turmkorb nach oben. Hier war ich vor fast zehn Jahren zum letzten Mal. Damals wurde der Bebauungsplan für das Gelände der ehemaligen Henninger-Brauerei vorgestellt.
Ferngesteuerte Maschinen
Heute fehlt nicht nur das Dach des Dreh-Restaurants, auch von den meisten Fenstern sind nur noch die Rahmen zu sehen. Und am Turmfass selbst - das einst das beliebte Drehrestaurant beherbergte - reißen Arbeiter gerade die letzten Reste des Daches mit Hilfe eines kleinen, ferngesteuerten Baggers ab. Die Maschine lärmt höllisch.
Als wir durch das Treppenhaus mit seinem geschwungenen Geländer samt dem mit rotem Plastik überzogenen Handlauf nach oben steigen, erinnere ich mich wieder an diesen Aufstieg von einem Restaurant in das nächste. In fast 96 Metern Höhe, wo einst die Küche war, gähnen große Löcher in Fußbodenhöhe in der Wand. Die Arbeiter in den Bergsteigerausrüstungen haben einen ersten kleinen Teil des Gerüstes auf den doppelten roten T-Trägern aufgebaut. "Wir ziehen das komplette Gerüst einmal um das Fass herum", erläutert der Bauleiter. Das Gerüst wird außerhalb der "Fassmauer" auf Trägern stehen. Darauf wird allerdings nicht gearbeitet, sondern daran angebrachte Planen sollen verhindern, dass zu viele Betonteile rund 100 Meter in die Tiefe fallen.
Rille der Drehplattform
Das Turmfass wird mit Hilfe eines ferngesteuerten Baggers, der auf fünf "Spinnenbeinen" steht, abgebrochen. Dank der "Beine" kann sich der Bagger im Radius von 360 Grad im Kreis drehen und sich dabei an der Mauer festkrallen. "Wir haben zwei dieser Bagger im Einsatz", berichtete der Bauleiter der Abbruchfirma, "den kleineren, der jetzt noch das Dach abbricht und einen größeren, der später den gesamten Turm abtragen wird".
Der Bauleiter lässt uns nur noch bis auf die nächste Plattform steigen. Hier sieht man noch die Rille, in der einst die Drehplattform lief, auf der die Bänke, Stühle und Tische mitsamt den Gästen einmal in der Stunde rund um den Turm gefahren wurden. Dieses Drehrestaurant, das erste in der Bundesrepublik Deutschland, war die Attraktion der Stadt. Ein Besuch auf der Aussichtsplattform und im Drehrestaurant war ein Muss für jeden Frankfurter und Touristen. Die Aussicht war spektakulär. Ein wenig Nostalgie kommt trotz des Abbruchlärms auf, als ich die Treppen hinaufsteige. Erinnerungen steigen auf, wie ich als Kind hier die Toiletten suchte. Wieder auf dem Boden angekommen, sehe ich, dass das frühere Eingangsgebäude mit den Aufzügen, Kassen und dem Souvenirlädchen bereits abgerissen ist. Auch die Turmschänke, in der meine Klasse ihr Abitur gefeiert hatte, ist nicht mehr. Unsere Bierkrüge hatten wir damals auf die Fensterbank gestellt, um sie später heimlich mit nach Hause zu nehmen. Heute steht hier eine Wand aus Containern.
Der Abriss des fast 120 Meter hohen Wahrzeichens, das von 1959 bis 1961 als Getreidesilo der Henninger-Bräu AG nach dem Entwurf von Karl Lieser gebaut wurde, soll bis zum Herbst dauern. Zur Zeit führt der Bauherr auf dem Henninger-Gelände, die Actris Immobilien GmbH der Milliardärsfamilie Hopp, Gespräche mit Gastronomen, die auf der Spitze des geplanten Wohnhochhauses wieder ein Lokal eröffnen sollen. Doch man wird bis 2015 warten müssen, ob das Wohnhochhaus sich so in die Seele der Frankfurter einbrennen kann, wie es der alte Henninger Turm vermochte.