Nahezu jede musikalische Gattung geht auch mit bestimmten Klangvorstellungen einher. So ist beispielsweise das Kunstlied eng verbunden mit dem Ideal einer lyrischen Männerstimme, unterstützt durch die virtuose Brillanz eines Pianisten, der es versteht, dem Gesangspart den nötigen Raum zu lassen, aber auch die ihm eigene interpretatorische Verantwortung nicht vergisst.
Wer zu jenen Besuchern gehörte, die sich am Sonntagabend in der Kreuzkapelle auf dem Alten Friedhof zum Konzert des Kulturkreises Oberursel eingefunden hatten, durfte sich davon überzeugen, dass es auch anders geht. Der Liedgesang vermag auch dann in besonderer Weise zur Geltung zu gelangen, wenn er, statt von einem Klavier, von einer Gitarre begleitet wird. Diese Idee stellt zwar kein Novum dar, mit der Mezzosopranistin Katharina Magiera und dem Gitarristen Christoph Brandt hatte man aber ein Duo verpflichten können, das einer solchen Herausforderung in bester Weise gewachsen war.
Und man staunt in der Tat nicht schlecht, wie die beiden Künstler die dargebotenen Beiträge gestalteten, die zu Höhepunkten des Kunstliedrepertoires zählen. Dies in jenen drei Liedern Felix Mendelssohn Bartholdys zu erkennen, mit denen das Konzert eröffnet wurde. So verfehlte etwa die arpeggienhafte Begleitung des Liedes "Auf Flügeln des Gesanges" auch auf der Gitarre ihre Wirkung keineswegs, entlockte Christoph Brandt seinem Instrument doch eine beachtliche Bandbreite an dynamischen Schraffierungen, auch den Klangcharakter gestaltete er mal gedämpfter, mal forcierter. Hierbei bildete das dunkle, warme Timbre Katharina Magieras die denkbar beste Ergänzung, wodurch den melodisch eingängigen Liedern Mendelssohns ein neuer, gleichsam schlichter wie volkstümlicher Charakter verliehen wurde.
Ein regelrechtes Geschenk für diese Herangehensweise an das deutsche Kunstlied stellten die drei folgenden Werke nach Gedichten von Goethe dar. Sowohl im innigen "Nachtgesang" als auch in dem lebhaften Lied "Mut" veranschaulichte das Duo in bemerkenswerter Weise jene Schlichtheit, die Goethe an der Musik Reichardts so geschätzt hatte. Man darf annehmen, dass Frankfurts berühmtesten Sohn dieser Vortrag gut gefallen hätte.
Auch bei den beiden Liedern "Widmung" und "Der Nussbaum" aus der Feder Robert Schumanns bewies das Ensemble das richtige Gespür für die musikalischen Details, und ebenso wie bei der Darbietung von Schuberts "Nachtstück" und "Lachen und Weinen" mochte der Eindruck entstehen, das die Werke von jeher für diese Besetzung komponiert worden seien. Allerdings ließ sich dies nicht über alle Beiträge dieses Abends sagen. Mendelssohns Schauerstück "Neue Liebe" etwa vermochte in der dargebotenen Fassung weniger zu überzeugen, da dessen Instrumentalpart die Eigenschaften des Klavieres in einer Weise fordert, wie ihr eine Gitarre nun einmal nicht gerecht werden kann. Umso überzeugender gerieten hingegen die Liedbeiträge aus dem Schaffen von Johannes Brahms, wo erneut ein volksliedhafter Tonfall dominierte. In die Klangwelt Spaniens entführte die Künstler ihr Publikum mit Jules Massenets "Nuit d’Espagne" und mit dem Chanson "Tendrement" von Erik Satie zeigten sich beide ganz in ihrem Element bevor zwei Gesänge Francesco Paolos den Abschluss bildeten. Der begeisterte Beifall, auf den als Zugabe zwei Schubert-Lieder folgten, zeigten deutlich: Es geht auch ohne Klavier.