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Träumerisches Gesamtkunstwerk - "Der Kartoffelkäfer und die Sehnsucht" versetzte in eine andere Zeit und in andere Leben

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Im 19. Jahrhundert, als die Armut in Europa groß war und der kleine, gelbe Käfer die Existenz vieler Familien aufs Spiel setzte, da heuerten Hehrscharen junger Männer auf dem nächstbesten Dampfer an und suchten ihr Glück in der Ferne, in Südamerika. Die Frauen blieben zu Hause, wartend auf den Erfolg des Ehegatten, hoffend auf etwas Geld, sich verzehrend vor Sehnsucht. Die Freiburger Akkordeonistin Cordula Sauter hat aus diesen traurigen Schicksalen ein Musik-Theater geflochten, das sie "Der Kartoffelkäfer und die Sehnsucht" nennt. Nun stellte die Künstlerin auf Einladung des HdB-Fördervereins ihr melancholisches, herzzerreißendes und durchaus auch amüsantes Programm im Raum Altkönig im Haus der Begegnung vor und reiste mit den rund 100 Zuhörern nach Argentinien, Frankreich und auf die Schwäbische Alb.

Angefangen habe alles mit einer unschuldigen roten Larve, die mit einem Frachtschiff von Amerika nach Holland und damit nach Europa gelangte und dort für Elend, Hunger und Hoffnungslosigkeit sorgte, erzählte Sauter und stimmte den "Kartoffelkäfer-Tango" an. "Die Melodie wird zum Ohrwurm, für manche auch zum Herzwurm", erklärte die Musikerin, bevor sie einen nächsten Tango anstimmte und dazu mit ihrem Akkordeon schwere Töne anschlug. Die orangenen, abendlichen Sonnenstrahlen fielen da durch die großen Fenster des kleinen Saals im Haus der Begegnung und tatsächlich fühlten sich die Zuhörer in eine andere Zeit und auf einen anderen Kontinent verfrachtet. Sauter spielte sehnsüchtige Klezmer-Standards, französische Musettes und Tango-Kompositionen und erzählte zwischen den sehnsüchtigen Musikstücken von drei traurigen Frauenschicksalen.

Hoffnung und Schwermut

Eines dieser Schicksale erzählte von Sauters eigener Urgroßmutter Marie, deren Mann Franz nach Argentinien auswanderte und dafür seine junge Geliebte zurücklassen musste. Lange, melancholische Briefe schrieb der junge Franz aus seinem südamerikanischen Domizil auf die Schwäbische Alb, berichtete in diesen Briefen von seiner Hoffnung auf Arbeit, Geld und Wohlstand und von seinem Wunsch, die zurückgelassene Geliebte schon bald nach Argentinien nachzuholen. Ein Wunsch, der sich nicht erfüllen sollte. Sauter spielte dazu schwermütige Tangos, zitierte spanische Gedichte und ließ das Königsteiner Publikum melancholisch aufseufzen. Auch die Geschichte von Marie aus der französischen Auvergne, deren Liebhaber ebenfalls nach Argentinien reiste, um dort seinen Träumen nachzujagen, endete traurig. Marie, verzehrend nach Post von ihrem Liebsten, flüchtete nach Paris, gab jedoch schon bald die Hoffnung auf ihren in Argentinien verschollenen Liebhaber auf und verliebte sich in einen feschen Akkordeonspieler. Doch hielt das Glück auch hier nur von kurzer Dauer, denn der Erste Weltkrieg kam und damit der Kriegsdienst des Musikers.

Doch ein Happy End, das wurde allen Frauen am Ende doch zuteil. In Cordula Sauters Programm verwoben sich Musik und Literatur zu einem rauschhaften, melancholischen und träumerisch leichtem Gesamtkunstwerk und weckten damit die Sehnsüchte der Zuhörer. Das nächste Schiff kann kommen.




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