Die 27-jährige Julia ist eine der Neuen, erst seit Januar ist sie in der Stadt. Dort war auch sie zunächst allein, bevor sie sich offensiv auf die Suche machte. Welcher Ausgang der Bahn-Station an der Frankfurter Hauptwache sie wohin führt, das weiß sie wirklich noch nicht. Die Hochhäuser findet sie immer noch sehr beeindruckend, wenn sie so durch die Straßen schlendert, und die Stadtteil-Namen, die schmeißt sie gerne mal durcheinander. Julia ist neu in Frankfurt. Der Beruf hat die 27-jährige Verwaltungsangestellte vor gut vier Monaten hierher verschlagen.
Fast alles neu
"Ich habe kein Problem damit, mal alleine zu sein, aber ich bin auch gerne unter Leuten", beschreibt sich Julia selbst. Sie sitzt hinten im Eck in einem Café und rührt in ihrer Latte Macchiato. Neu ist das Café eigentlich nicht - für Julia aber ja. Sie kennt noch nicht so viel hier. Ihren Nachnamen mag die zierliche Frau mit dem halblangen Haar nicht in der Zeitung lesen. Wohl aber möchte sie beim Gang durch die Stadt und bei Latte im Café erzählen, wie es so ist, allein unter den über 700 000 Frankfurtern und auf der Suche nach Bekanntschaft.
Frankfurt zählt zu den Ballungszentren mit den meisten Zuzügen deutschlandweit. Die Fluktuation ist dabei hoch: Laut Stadtverwaltung zogen allein von Januar bis September 2012 gut 41 000 Neu-Frankfurter in die Stadt; 36 300 zogen im gleichen Zeitraum wieder weg. Dabei wächst die Zahl derer, die als Singles in Frankfurt wohnen. Mehr als die Hälfte aller Haushalte in der Main-Metropole, genau 53,3 Prozent, zählt das Statistische Landesamt mittlerweile als Ein-Personen-Haushalte. Sicher sind darunter eine ganze Reihe Menschen, die verwitwet sind - die Überalterung der Gesellschaft fordert auch hier ihren Tribut. Dennoch ist aber auch unter den Jüngeren die Singlezahl enorm hoch.
Auch Julia lebt alleine in ihrer neuen Wohnung. Eine gute Autostunde von Frankfurt entfernt, aus Weilburg bei Limburg, war sie in die Region gezogen. Dort leben viele der alten Freunde heute noch. Aber: "Ich will ja meinen Lebensmittelpunkt ins Rhein-Main-Gebiet verlegen. Und dazu gehört eben auch ein Freundeskreis hier." Also machte sie sich auf die Suche.
Im Internet sei sie auf eine Webseite für Neu-Frankfurter gestoßen. Im öffentlichen Forum habe sie eine kurze Nachricht hinterlassen mit der Botschaft, sie sei auf der Suche nach "Mädels z. B. zum Shoppen oder Kaffeetrinken". Und nach wenigen Tagen lernte sie die erste Lektion über ihr neues Zuhause: Allein in Frankfurt - das sind viele. "Dann hatte ich auf einmal zehn Zuschriften und mehr. Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte", erinnert sie sich und lacht vergnügt über ihre damalige Verdutztheit.
Zu fünft hätten sie sich wenig später einmal zum Kaffeetrinken getroffen. "Das war ein bisschen wie beim Blind Date", beschreibt Julia das Treffen. "Wir wussten ja alle nicht, was dabei herauskommt." Gemeinsamkeiten aber fanden sich schnell, denn die Geschichten der Teilnehmerinnen ähnelten sich: Alle waren zugezogen, einige schon länger, andere erst frisch in Frankfurt angekommen. Alle auf der Suche nach privaten Bekanntschaften. Und Kontakt zu "echten" Frankfurtern so gut wie nicht vorhanden.
Zu Einheimischen Kontakt aufzubauen, das sei schwierig, bestätigt die Psychologin Sigrid Kamenshine. In Frankfurt sei das sogar noch schwieriger als anderswo. Kamenshine nennt es eine "Fremdenüberflutung", die die Frankfurter habe abstumpfen lassen. "Die Frankfurter haben so viele Neuzugänge, dass sie einfach davon ausgehen: "Na ja, da ist mal wieder einer nach Frankfurt gekommen und der geht ja dann sowieso wieder." Wer vorhabe, sich langfristig in der Region niederzulassen, "der hat schön zu tun, bis ihm das jemand abkauft".
"In Frankfurt lernt man eher einen Iren, Franzosen oder Australier kennen als einen Frankfurter", sagt Franz-Josef Hieronimus. Der Mittfünfziger steht am Stehtisch in der Bockenheimer Kneipe und nippt an seinem Bier. 1990 sei er aus dem 200 Kilometer entfernten Dillingen in die Region gezogen. Die netten Nachbarn hätten ihm und seiner Familie damals geholfen, ihnen die "einheimischen" Lokale und Kneipen gezeigt, die für "richtige Frankfurter". Ansonsten wäre es wohl schwierig geworden.
Wegen Job gewechselt
Er nippt wieder an seinem Bier. Schräg gegenüber steht Andreas Heuberger. Ebenfalls kein Ur-Frankfurter, sondern 1998 von Berlin nach Frankfurt gekommen. "Ich hatte mir Frankfurt nicht ausgesucht. Meine damalige Firma hat mich hierher versetzt", erzählt er. So fange es bei vielen an. Manche bleiben dann in der Region, andere gehen wieder. Heuberger blieb - und nahm die Sache mit den Bekanntschaften in die Hand.
Nach einem Vierteljahr in Frankfurt habe er sich auf die groß angelegte Suche gemacht, ein paar Anzeigen geschaltet und schließlich seine "Mainhatten-Runde" gegründet. Bis heute existiert diese Runde, zu der sich jeden Donnerstag "zehn bis 20 Leute" in wechselnder Besetzung zusammenfinden. Festgelegte Themen gebe es beim Stammtisch keine. Mal gehe es um Privates, mal ums Geschäft.
Julia hat mit ihrer Runde mittlerweile auch einen eigenen kleinen Stammtisch initiiert. Ein Mal im Monat treffe sie sich mit ihren neuen Bekanntschaften zum Sonntagskaffee, immer an anderen Orten, um dabei auch Lokale und Stadtteile besser kennenzulernen.
Es ist ein Anfang
Diese Runde sei mal ein Anfang, meint sie. "Es kann sein, dass ich in einem halben Jahr wieder von vorne anfangen muss, weil alles so schnelllebig ist hier", gibt sie sich vorsichtig. "Jetzt die Füße hochzulegen - das wäre fatal."