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Rauchen: Zum Aufhören ist es nie zu spät

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Oliver S. ist schlecht drauf. Seit Jahren will er aufhören zu rauchen. Mehrfach hat er es versucht, ist immer wieder nach Monaten oder gar Jahren wieder beim Glimmstängel gelandet. Sport ist für ihn schon längere Zeit kein Thema mehr, selbst beim Treppensteigen merkt der 46-Jährige mittlerweile die Auswirkungen seiner Sucht mit rund 20 Zigaretten täglich. Noch ist das nicht lebensbedrohlich.

Das kann es aber schnell werden. Und es droht 20 bis 30 Millionen Menschen in Deutschland. "Ich habe angefangen, als ich 15 Jahre alt war. Damals war es schick, zu rauchen. Gut 30 Jahre später wünschte ich mir, ich hätte nie angefangen." Oliver S. will für seine Familie da sein, nicht irgendwann mit einer dramatischen Diagnose konfrontiert werden.

Schon beim Aufstehen muss er häufig stark husten. Die erste Zigarette hilft. Die Inhaltsstoffe der Zigarette betäuben die Flimmerhärchen, die können den schützenden Schleim um die Zigaretten-Inhaltsstoffe nicht aus der Lunge heraus transportieren. Die Zigarette am Morgen betäubt die Härchen erneut, der Husten hört auf. Aber besser wird es nicht. Erst, wenn man mit dem Rauchen aufhört. Dann bestehen sogar große Chancen auf Regeneration.

Die Spitzen-Pneumologen der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim haben inzwischen zahlreiche Methoden, um die gefürchtete Raucherlunge zumindest zu stabilisieren. Noch aber ist manchmal nur noch die Operation bis hin zur Transplantation eines Lungenflügels die letzte Hoffnung.

Erste Stufe zur Raucherlunge ist die chronische Bronchitis: Hat man als Raucher an drei Wochen im Jahr produktiven Husten, ist eine chronische Bronchitis diagnostiziert. "Das hat eigentlich jeder langjährige Raucher. Aber das muss noch nicht einhergehen mit den später einsetzenden Symptomen wie Luftnot oder messbaren Veränderungen des Lungengewebes", schildert Pneumologe Prof. Hossein-Ardeschir Ghofrani.

Die meisten hören aber nicht auf. Dann droht das Emphysem. Ein Gutteil des Lungengewebes ist zerstört, die Lunge ist überbläht. Man hat so viel Luft in der Lunge, dass man kaum atmen kann. "Das ist das Endstadium der Raucherlunge", sagt Ghofrani. Das Emphysem ist nicht mehr umkehrbar. "Es erwischt mehr oder weniger jeden Raucher mit einer gewissen Schlagzahl.", warnt Ghofrani.

Die Luftnot ist am Anfang kaum merklich, ein Drehzahlbegrenzer setzt ein. "Erst wenn man die Patienten fragt, wann sie letztmals Treppen gestiegen oder mit dem Fahrrad gefahren sind, bemerken sie die Einschränkung", schildert Ghofrani. Später kommt die Luftnot in Ruhesituationen hinzu.

Die Mutter aller Therapien ist es, mit dem Rauchen aufzuhören. "Es lohnt sich immer, es gibt keinen Zeitpunkt, an dem es zu spät ist." Man kann damit zumindest den Verfall der Lunge verlangsamen. Dann müssen Entzündungen in der Lunge behandelt werden, mit Sprays und anderen Medikamenten. "Hier geht man mit dem Feuerlöscherprinzip heran." Letzter Strohhalm ist die Operation bis hin zur Transplantation, die an der Kerckhoff-Klinik mit Erfolg durchgeführt werden.

Große Hoffnungen setzt Ghofrani auf die Forschung, an der die Klinik und das benachbarte Max-Planck-Institut als Teil des Deutschen Zentrums für Lungenforschung beteiligt sind. Und dort ist in den vergangenen Jahren vieles passiert. "Es gab einen Paradigmenwechsel", schildert Ghofrani.

Die Forscher gingen nicht mehr von der Gewebekrankheit aus (dort landeten sie in einer Sackgasse), sondern in die Molekularforschung hinein. Dabei wurde das iNOS-Molekül entdeckt, das maßgeblich am Lungenzerfall beteiligt ist. "Dieses Molekül hatten wir bislang nicht auf dem Radar." Wenn man dieses Molekül unterdrückt, wird der Zerfall nicht nur gestoppt, im Endeffekt regeneriert sich die Lunge sogar. "Selbst die Granden der alten Schule wurden aufmerksam und sagten: ,Da muss was dran sein.´"

Ghofrani: "Im Modell hat das funktioniert, namhafte Fachmagazine haben berichtet. Die großen Pharmafirmen haben die Hemmstoffe bereits in der Pipeline." Und es wurde in anderen Einsatzgebieten bereits an Patienten erprobt. "In vier bis fünf Jahren werden wir erste Ergebnisse haben. Dann ist der Weg zügig und vorgezeichnet", sagt Ghofrani.

Doch noch etwas macht Ghofrani Hoffnung. Und zwar jüngste Forschungen. "Hier ist ein Konzept der bisherigen Emphysem-Behandlung fundamental erschüttert worden." Denn es stelle sich mehr und mehr heraus, dass Komponenten des Rauches auch andere Strukturen innerhalb der Lunge mit großem Anteil direkt beeinflussen, unter anderem auch die Blutgefäße. Die verlieren an Elastizität, die Wandstärke nimmt ähnlich wie bei der Arterienverkalkung zu. "Hier hat man Mechanismen entdeckt, die in fünf bis zehn Jahren neue Therapiemöglichkeiten ermöglichen", sagt Ghofrani. "Man versteht die Erkrankung Raucherlunge immer mehr als Systemerkrankung." Und hier setzen Hemmstoffe ein, die die Stickstoff-Syntase (iNOS) verhindern können. "Da könnte es bald Mittel als Tablette oder Spray geben, die weitere Zerstörungen aufhalten.

Doch selbst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und das Emphysem diagnostiziert ist, tauchen neue Möglichkeiten auf. "Am Max-Planck-Institut findet gerade Weltbewegendes statt. Da kann man schon Lungen zum Wachsen bringen und sie aus einzelnen Stammzellen heraus wieder neu züchten. Das ist ein großer Hoffnungsschimmer für Menschen im Endstadium. Man hilft der Lunge, sich selbst zu helfen."

Für Patienten mit Emphysem gibt es auch neue Techniken, um der Überblähung entgegenzuwirken. Bisher war eine schwerwiegende Operation nötig, um die Überblähungen zu beseitigen. "Das hat die Patienten teilweise mehr zurückgeworfen, als es ihnen gebracht hat. Erst nach etwa einem halben Jahr haben sie profitiert."

Mit Schlüssellochtechnologie geht man jetzt direkt in die Atemwege. Dort kann man etwa ein Einwegventil einsetzen, das Luft und Schleim aus den überblähten Blasen austreten, aber keine neue Luft eintreten kann. Der Effekt ist zügig, der Patient muss keine schwere Operation überstehen.

Für wen dies nicht geeignet ist, für den gibt es intelligentes Metall. "Metall, das sich eine Formgebung merken kann", erklärt Ghofrani. Man führt auch hier ohne große Schnitte einen Metallstab ein. Wird er aktiviert, formt sich der Stab zu einer in sich verschränkten Spirale und zieht die Blasen in die Mitte der Lunge. So wird mehr Platz für noch funktionierende Lungenteile geschaffen. Bisher wird der Eingriff an nur wenigen Häusern vorgenommen. "Jetzt geht es um eine umfassende Dokumentation der Erfolge. Kurzfristig ist das bereits erbracht, langfristig muss es sich noch zeigen. Und schließlich muss dies auch finanziell vom Gesundheitssystem gestemmt werden", sagt Ghofrani.

Oliver S. weiß jetzt mehr. Und er hat den noch stärkeren Wunsch, aufzuhören. Ghofrani: "Das Wichtigste für den Arzt ist dabei das Rauchentwöhnungsgespräch, die Begleitung durch den Arzt. Das kann bei der Raucherlunge auch ein ganzes Leben lang sein und sollte immer wieder zur Sprache gebracht werden. Denn die Rückfallquote liegt bei 80 Prozent und ist damit höher als bei intravenösen Drogen. Das liegt an der niedrigen gesellschaftlichen Hemmschwelle, dem vergleichsweise kleinen Preis und daran, dass man keine unmittelbaren Nachwirkungen wie bei anderen Drogen hat."

Unterstützende Alternativen wie Medikamente, aber auch Hypnose und Akupunktur sind für Ghofrani und seine Kollegen kein Problem. Im Gegenteil. "Die Vorwurfshaltung gegenüber Rauchern gibt es in der modernen Medizin nicht mehr, sie ist auch unberechtigt. Der Wille ist entscheidend, wenn aber andere Methoden helfen können, sollen sie auch in Anspruch genommen werden können. Und man kann die Qual des Entzugs ebenfalls lindern."




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