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Wenn das Knie nicht mehr will

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Rainer M. war vom Fußball begeistert. Obwohl er schon über 40 Jahre alt war, bildete er immer noch eine Stütze seiner Mannschaft. Bis zum vergangenen August. Das Knie war nach einem Foul hin. Es schmerzte nachts, auftreten war manchmal kaum noch möglich. Nicht nur der Sport war nun in Frage gestellt, sondern auch, ob Rainer M. je wieder laufen können würde. Wie sehr sich die Medizin im Bereich der Knie- und Hüftprothesen verändert hat, zeigt sich in der Sprechstunde mit Dr. Johannes Peil, Arzt diverser Formel-1-Stars und Profifußballer.

Der Betreiber der Sportklinik in Bad Nauheim setzt bei der Feststellung des tatsächlichen Ausmaßes einer solchen Verletzung auf eine saubere Diagnostik. "Es gibt zum Beispiel den Fallstrick, dass man oft an die Hüfte denkt, es ist aber die Ausstrahlung von der Wirbelsäule." Der gute klinische Befund schaue auch nach korrespondierenden Regionen rund um ein verletztes Gebiet.

Der Mensch sei ursprünglich für 30 Jahre geschaffen gewesen, doch die Gelenke könnten noch viel länger halten. Gründe für eine frühere Schädigung lägen in der Vererbung wie Rheuma oder Stoffwechselproblemen, einem Unfall oder in belastenden Sportarten. "Auch das sollte man in der Lebensplanung beachten." So sei Fußball nicht gerade günstig für Arthrose im Hüftgelenk, noch gefährlicher allerdings seien Sportarten wie Kickboxen. Hier setzt Peil auf das Gespräch mit Eltern. Aber er macht auch Jugendlichen klar, dass mehr Technik und ein zielgerichtetes Training mehr Sicherheit bieten, dass die Struktur lange hält.

Ist das Gelenk aber hin, ist der Arzt gefragt. "Er muss einschätzen, wie sehr der Mensch individuell seine Verletzung kompensieren kann. Hier gibt es eine große Bandbreite", sagt Peil. Er beschreibt eine Frau, die in den 90er Jahren mit einem schweren Gelenkschaden zu ihm kam. "Jeder hätte damals eine totale Endoprothese eingesetzt. Doch noch heute hat die Frau keine Prothese. Sie ist über 60 und spielt sogar noch Tennis, ist total beschwerdefrei."
Ein Schlüsselwort in der heutigen Orthopädie ist die minimalinvasive Operation. "Heute können wir mit ganz kleinen Schnitten arbeiten, um etwa einen Meniskus oder Knorpel per Spiegelung zu untersuchen und dann zu ersetzen oder andere Maßnahmen anzuwenden. Der Patient kann am gleichen Tag noch aufstehen und ist nach Training nach einigen Tagen wieder voll einsatzfähig." Und durch die Nachbehandlung und muskuläre Kompensation sei es möglich, Vorschäden auszugleichen.

Die Knorpeltransplantation wirkt aber nur bei einer Fläche von höchstens einem Fünf- oder Zehn-Cent-Stück. Danach muss man über den Komplettersatz nachdenken. "Dann kann die totale Endoprothese ein Segen sein", sagt Peil, auch wenn die Nachbehandlung weit langwieriger ist. Und der Eingriff wesentlich komplizierter ist, "das ist immer noch High-Tech-Medizin." Jede Versorgung mit einer Totalprothese gehöre deswegen in ein spezialisiertes Zentrum. Außerdem halte eine Totalprothese nur etwa 15 Jahre. "Je länger ein Patient mit seinem Knie durchhalten kann, desto mehr profitiert er auch von den fortschreitenden Operationstechniken.

Gerade finde eine große Diskussion um vermeintlich überflüssige Operationen statt. Auch Peil sagt, dass zu viele Prothesen eingesetzt werden, viele Patienten seien angebrachter zu behandeln als mit der Operation. Und wiederholt noch einmal seine Forderung nach einer sauberen Diagnose, die auf die Leistungsfähigkeit der Patienten angepasst sei.

Vor Versprechungen mit Medikamenten warnt Peil aber. Manche Randanbieter versprächen Pseudohilfen, die ein Knie aber nie wieder herstellen könnten. "Gäbe es wirklich so ein Medikament, wäre schon mindestens ein großes Pharmaunternehmen angesprungen", sagt Peil weiter.

Wohl aber könne man vorbeugend tätig sind. "Die ganze Orthopädie fußt auf der Physik", skizziert Peil und ergänzt: "Wenn man früh einen Schaden feststellt, kann man helfen, ein Knie noch zehn bis zwölf Jahre ohne Probleme beschwerdefrei zu halten." Etwa durch dämpfende Schuhe oder spezielle Einlagen.
Wie viele Wände Dr. Johannes Peil eingerannt hat, kann er selbst nicht mehr sagen. Doch letztlich setze sich seine Behandlungsphilosophie immer mehr durch. "Es ist für einen Patienten doch sehr schön, wenn er nach einer minimalinvasiven Operation abends wieder in seinem Bett liegen kann", verteidigt er den Ansatz, so viel wie möglich ambulant zu behandeln.

Als er vor Jahrzehnten versuchte, den stationären Aufenthalt der Patienten zu minimieren, war die Basisphilosphie nicht nur in der Sportmedizin noch eine andere. Es ging um Schonung, lange Verweilzeiten in den Kliniken wurden dafür als nötig angesehen.

Doch Peil machte damit Schluss, auch wenn sich bei manchen Patienten der stationäre Aufenthalt nicht vermeiden lässt. Auch Peil hat noch Stationär-Betten in seiner Sportklinik. Aber immer, wenn es geht, sollen die Patienten schnellstmöglich wieder in ihr tägliches Umfeld. "Inzwischen haben viele Kassen dieses Muster übernommen, und auch Kollegen behandeln mehr ambulant", sagt er.

Dafür habe er Verhandlungen mit allen Bundesregierungen seit über 20 Jahren geführt. Und mit den Krankenkassen. "Das ganze System der ambulanten Operation und ambulanten Rehabilitation ist entstanden durch die Zusammenarbeit des Verbandes der Deutschen Angestellten-Krankenkassen und der kleinen Sportklinik in Bad Nauheim", sagt Peil.

"Entscheidend ist die Ergebnisqualität", sagt Peil über die Behandlung. Die Ziele der Patienten seien deckungsgleich mit den Zielen des Therapeutenteams. Erst das Zusammenwirken und die Verzahnung von Akutmaßnahmen und Rehabilitation ermöglichten die Wiederherstellung der Funktion und Belastbarkeit der verletzten Struktur bis hin zur Wiederherstellung der Sportfähigkeit auf dem gleichen Level wie vor der Verletzung.

Bei Rainer M. ging die ganze Sache glimpflich aus. Er kam um einen Totalersatz herum. Theoretisch könnte er sogar wieder Fußball spielen. . .




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