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Der Tod im Klassenzimmer - Sterbebegleiterin aus Friedrichsdorf führt Grundschulkinder an das Tabu-Thema Tod heran

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Dass Gisèle Literski-Kainzbauer aus der Schweiz kommt, kann sie nicht verhehlen, der Schweizer Akzent schimmert stets durch, wenn sie mit jemandem redet. Selbst bei ihrem ansteckenden Lachen meint man den Dialekt mitzuhören. Und Gisèle Literski-Kainzbauer lacht viel in diesem Gespräch, in dem es doch um ein ernstes Thema geht: den Tod.

Seit 2006 lebt sie im Taunus, zunächst in Bad Homburg, dann in Friedrichsdorf, seit über vier Jahren ist sie in der hiesigen Hospizbewegung als Sterbebegleiterin engagiert. "Ich habe schon in der Schweiz Menschen, auch meinen Vater, auf ihrem Heimweg begleiten dürfen", sagt sie. Dürfen - das klingt wie eine Ehre, nach einer kostbaren Erfahrung. So empfindet es die 47-Jährige auch: "Ich lerne Menschen kennen, die sich mir öffnen, es entstehen Beziehungen, in denen ich zuhören und erzählen kann und in denen auch der Humor seinen Platz hat."

Das Thema Tod ist für sie daher keinesfalls ein Tabu-Thema, sondern ein Baustein im Kreislauf des Lebens. "Ich komme auf die Erde und gehe wieder nach einer gewissen Zeit", sagt sie. Doch in unserer Kultur sei der Tod ins Abseits gedrängt worden. Man spreche nicht über ihn, verdränge ihn. Umso schmerzhafter sei es dann, wenn er tatsächlich in das Leben hereinbreche. Besonders Kinder seien davon betroffen, hat die integrative Kinesiologin (siehe Box) festgestellt. "Sie wachsen in einem behüteten Umfeld auf, das Thema Tod wird von ihnen ferngehalten, dann stirbt jemand aus der Familie und das Thema ist plötzlich präsent." Eltern, aber auch Erzieher und Lehrer seien unsicher, wie dann mit den Kindern umzugehen sei. Kinder bleiben mit ihren Fragen, mit dem Gefühl des Schmerzes und des Verlustes, die sie selbst nicht in Worte fassen können, zurück. Deshalb wagen Gisèle Literski-Kainzbauer und ihre Kolleginnen vom Hospiz-Dienst einen neuen Schritt: Sie bringen das Thema Tod in die Schule. Eine Woche lang werden sie in der Ober-Erlenbacher Paul-Maar-Schule Workshops zum Thema anbieten. Dafür haben alle Hospiz-Helferinnen sich extra schulen lassen, Literski-Kainzbauer hat sogar eigens Urlaub dafür genommen. "Das Thema ist mir wichtig."

Kinder sollen ermutigt werden, auch zu Hause über den Tod zu sprechen, ihre Gefühle auszudrücken, Fragen zu stellen. Gerade auf Letzteres freut sich Literski-Kainzbauer besonders. "Kinder sind neugierig, doch zum Thema Tod Fragen zu stellen, trauen sich viele nicht. Das wollen wir ändern. Auch wenn wir wissen, dass wir viele, etwa, was nach dem Tod geschieht, nicht beantworten können."

Ein weiteres Ziel sei es, sprachliche Hemmnisse aus dem Weg zu räumen. "Wir haben eine völlig verquaste Sprache. Wir sagen: ,Der Opa ist gegangen‘, dabei liegt der Opa aufgebahrt im Nebenzimmer. Das verstehen Kinder nicht." Und wenn sie fragen, bekämen sie oft eine weitere verquaste Antwort, die sie noch ratloser zurücklasse. "Wir wollen, dass die Kinder in ihr Herz schauen, dass sie das fragen, was sie bedrückt und ihnen ehrliche Antworten geben, auch wenn das bedeutet, zuzugeben, dass man etwas nicht weiß."

Angst, Kinder mit dem Thema zu überfordern, hat sie nicht. "Die Lehrerin, die ihre Schüler ja kennt, ist bei den Workshops ständig dabei." Es werde gesungen, getanzt, Bilder gemalt und viel gesprochen. Das Ergebnis des Workshops soll den Eltern nächsten Freitag vorgestellt werden. Was das sein wird, weiß die Friedrichsdorferin nicht. "Kinder haben eine solche Fantasie, sind unglaublich logisch. Eins steht fest: Ich freue mich drauf."




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