"Der kristallene Lüster" - hinter diesem Titel könnten sich Geschichten jedweder Art verstecken. Geheimnisvolle. Gespenstische. Mit dem Zusatz "Meine deutsch-italienische Jugend 1927 bis 1947" ist aber schnell klar, dass es sich weder um einen Detektivroman, noch um eine Gespenstergeschichte handelt. Auch wenn Schlösser, in denen es ja spuken soll, darin tatsächlich eine Rolle spielen. Denn geschrieben hat das Buch, das 1992 unter dem Titel "Il lampadario di cristallo" bei Longanesi & C., in Mailand erschienen und zumindest in der deutschen Übersetzung vergriffen ist, ein veritabler Prinz. Nämlich Heinrich Prinz von Hessen, der Bruder des jüngst verstorbenen Moritz Landgraf von Hessen.
Im Gästebuch verewigt
Auf 192 Seiten hat er seine deutsch-italienische Jugend beschrieben, und damit in Teilen auch die seines Bruders. Das Italienische kommt nicht von ungefähr: Bekanntlich war Moritz‘ und Heinrichs Mutter Mafalda von Savoyen, eine Tochter des italienischen Königs Viktor Emmanuel III. Mafalda kam 1944 im KZ Buchenwald ums Leben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Brüder Moritz und Heinrich ihren Lebensmittelpunkt in Italien, unter anderem in der Villa Savoia und der Villa Polissena, aber (vor der Deportation der Mutter nach Buchenwald) auch im Internat Schloss Neubeuern in Bayern. Einer, der darüber zu berichten weiß, ist Reinhard Käsinger, unter anderem zuständig fürs Marketing der Internatsschule und zudem mit der Historie des Hauses befasst.
Käsinger hat Gästebücher, in denen sich Mafalda verewigte, und sogar ein Mitteilungsbuch von 1940, in dem mit Bleistift geschrieben steht: "Prinz Heinrich zum Zahnarzt nach Rom". Käsinger: "Das ist aus heutiger Sicht schon eine unglaubliche Sache: Schüler X geht ins Nachbardorf zum Zahnarzt, der Prinz wird dazu nach Rom geflogen." Ein anderes Papier zeigt folgenden Text: "H. u. M. von Hessen wegen Beerdigung des Großvaters nach Frankfurt, 1.-3.6.40. " Käsinger berichtete dem Landgrafen Moritz von Hessen von seinem Fund übrigens bei einem Besuch in Kronberg vor vier Jahren im Mai 2008. "Wir haben dabei aber auch viel über seine Mutter Mafalda gesprochen, das ist für die Historie der Schule von immensem Wert."
Von Bedeutung für das Verständnis dafür, wie Moritz und sein Bruder in Kronberg aufgewachsen sind, dürfte das Buch Heinrichs sein. Auf zehn Seiten beschreibt er, wie es auf dem Friedrichshof zuging: "Die Großmutter liebte den Park von Friedrichshof sehr, in dem ihre Mutter prachtvolle Bäume heimisch gemacht hatte, darunter auch riesige Sequoiatannen: Illustre Gäste, so die Königin Viktoria und der russische Zar, pflanzten zur Erinnerung an ihren Besuch im Schloß jeder einen Baum vor die große Südterrasse. Am Fuß des Stammes wurden anschließend Schilder aus Goldbronze mit dem Datum und dem Namen des Stifters aufgestellt; nach dem Krieg sind sie allesamt der fieberhaften Andenkenjagd der amerikanischen Soldaten zum Opfer gefallen."
Als Kinder habe es ihn und seinen Bruder im Garten besonders zu einer Ecke gezogen, "die wir den ,Wasserfall‘ nannten". "Das Wasser speiste einen kleinen Teich am Fuß einer künstlich angelegten Felswand, auf deren Spitze ein enger Tunnel führte: Wenn man aus dem Dunkel trat, bot sich dem Betrachter ein zauberhaftes Bild, wie gemalt von einem der berühmten Maler der deutschen Romantik." Das klingt für Ottonormalverbraucher schon wie von einem anderen Stern. Allerdings auch geheimnisvoll, denn nach einer Trockenlegung, so schreibt Heinrich weiter, "kamen zwei schöne barocke Kerzenhalter aus Goldbronze zum Vorschein". Niemand habe sich erklären können, wie sie in den Teich gelangt waren.
"Qualvolles Ächzen"
"Wenn Moritz und ich die Großeltern besuchten", schreibt Heinrich, "wohnten wir im Schloß über den ehemaligen Küchen; in diese Räume gelangte man über eine Steintreppe. Der letzte Treppenabschnitt aber war aus Holz, das bei jedem Schritt ein qualvolles Ächzen von sich gab." Klingt so richtig nach herrschaftlichem Wohnen, oder?
Dass das Leben in einem Schloss aber auch eine Bürde sein kann, zeigt Heinrich mit dieser Passage: "Im Spielzimmer hing, alles beherrschend, ein großer Druck der Königin Viktoria im Kreis ihrer vollzähligen Familie, die Hunde eingeschlossen. Darunter war ein himbeerrotes Sofa platziert, voller Kissen mit dem Wappen des britischen Königshauses." Auch ansonsten war Wandschmuck, wie man ihn aus heutigen Kinderzimmern kennt - Poster von Rennwagen, Superhelden oder Popstars - bei "Königs" natürlich verpönt. Nicht immer leicht für die jungen Adelssprösslinge, wie Heinrich schreibt: "Über meinem Bett hatten Menschen ohne Verständnis für kindliche Ängste einen großen Stich von Poussin aufgehängt, das Bild eines Mannes, den eine Schlange erwürgt. Ich hatte mir einen Trick einfallen lassen, um unter die Decke zu schlüpfen, ohne diese schauderhafte Szene ansehen zu müssen; doch im Traum suchte sie mich oft heim."
Sein Bruder Moritz übrigens habe seine "Nachtängste" nicht geteilt: "Er schlief zufrieden unter einem anderen, gleichermaßen beunruhigenden Bild, ebenfalls von Poussin."