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Düsteres vom "arabischen Winter" - Sicherheitsexperte Teltschik nimmt beim Campus-Kronberg-Gespräch Afrika in den Blick

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Vom "arabischen Frühling" spricht kaum noch jemand, eher vom "arabischen Winter". Was sich zwischen Pakistan im Osten und Marokko im Westen abspielt, kann nach Ansicht Horst Teltschiks zu einem Alptraum werden. "Wenn es nicht schon ein Alptraum ist", zeichnete der frühere Kanzlerberater beim Campus-Kronberg-Gespräch ein düsteres Bild der arabischen Welt. Einem geographischen Gürtel von beträchtlicher Ausdehnung und derzeit rund 350 Millionen Einwohnern, deren Zahl in den nächsten zehn Jahren die Größenordnung der Europäischen Union erreichen dürfte. Dieses der hiesigen Demografie-Entwicklung gegenläufige Wachstum der Bevölkerung gelte es aufmerksam im Auge zu behalten.

Hier schlummere das Potenzial für riesige, nicht zu kontrollierende Flüchtlingsbewegungen, die bei wirtschaftlichen Krisen oder gravierenden klimatischen Veränderungen entstehen könnten. "Das wollen die Europäer nicht wahrhaben", kritisierte Teltschik. Die Europäische Union habe dafür keinerlei Strategie. Auch gebe es kein schlüssiges Konzept für den Umgang mit dem rohstoffreichen Afrika, immerhin zweitgrößter Kontinent der Erde. China sei Europäern und Amerikanern in diesem Punkt weit voraus. Zumal es die EU nicht verstehe, ihren Positionen mit gemeinsamem Auftreten Gewicht zu verleihen, sprach er mit ironischem Unterton die Gespräche Außenminister Guido Westerwelles in Moskau zum Bürgerkrieg in Syrien an. "Die Russen waren tief beeindruckt."

 

Verlorene Staaten

 

"Über eine nationalstaatlich geschlossene Bevölkerung verfügen nur Ägypten, Iran und die Türkei. Alle anderen arabischen Länder sind künstlich geschaffen. Ihre Grenzen wurden willkürlich, ohne Rücksicht auf nationale und religiöse Gemeinschaften gezogen", skizzierte der Referent die Situation. Dass Staaten von zum Teil sehr kleinen Minderheiten dominiert werden, sei eine weitere Ursache für instabile Verhältnisse. Syrien oder der Irak werden seinen Worten zufolge in ihrer jetzigen Form nicht überleben. "Pakistan und Afghanistan drohen zu verlorenen Staaten zu werden, die Terroristen als Schutzräume dienen." Das Geschehen in Ägypten beeinflusse indes die weitere Entwicklung.

Bei der Präsidentschaftswahl im Iran am kommenden Freitag werde endgültig darüber entschieden, dass dieses Land Nuklearmacht werde. Die gegenwärtigen regierungskritischen Demonstrationen in der Türkei versuche Ministerpräsident Recep Erdogan als "Vehikel zu nutzen, sich im kommenden Jahr zum Staatspräsidenten wählen" zu lassen.

Zu den Verhandlungen über einen EU-Beitritt führte er aus: "Die EU hat Gespräche unter der Perspektive eines Beitritts aufgenommen. Pacta sunt servanda. Wissen wir, ob wir in zehn Jahren nicht froh darüber sind, die Türkei unter den EU-Mitgliedern zu haben?"

Als übergreifende Probleme der arabischen Länder sah Teltschik eine weit verbreitete Armut, die große Zahl arbeitsloser junger Menschen, denen es dazu an grundlegender Bildung fehle, und die "unglaubliche Bereicherung der Machteliten".

Von daher seien die Aufstände gegen die Regierungen alles andere als überraschend gekommen. Junge Leute und moderne Medien hätten bei der Organisation die Schlüsselrolle gespielt. Demokratisierung, gesellschaftliche Veränderungen würden allerdings erschwert aufgrund der fehlenden Trennung von Staat und Religion. "Die Geistlichen können sich auf den Unterbau der Moscheen stützen und so ihre Macht zementieren", sagte der langjährige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Zudem wolle die "alte Garde" nicht abtreten. "Wer nachfolgen soll, siehe Saudi Arabien, ist vielfach ungeklärt."

Teltschik plädierte dafür, sich in die Konflikte innerhalb dieser Weltregion nicht einzumischen. Das bedeute auch, keine Waffen dorthin zu liefern. "Die Initiative muss von diesen Staaten ausgehen. Dann müssen wir genau zuhören, erfassen, um was es geht, und wenn Interesse besteht, Kooperationen zusagen", zeigte er einen Weg auf.

Hilfe koste jedoch Geld und Kreativität. Wirtschaft und Handel können Teltschiks Meinung nach "durchaus ein Instrument sein, Diktaturen in Richtung Freiheit und plurale Gesellschaft zu bewegen". Er empfahl nachdrücklich, die "Zivilgesellschaft zu unterstützen, beispielsweise mittels Projekten gegen Analphabetentum und Jugendarbeitslosigkeit".




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