Gefühlte 50 Grad ist es unterm Dach der restaurierten Alten Wache am Donnerstagabend kurz vorm Gewitter. Unangenehm für die vielen Gäste, von denen manche gar im Treppenhaus stehen müssen, angenehm für Massai. "Können wir in Tracht kommen oder ist es zu kalt?", haben Dr. Morompi Ole-Ronkei und seine Frau Renoi Ronkei vorher gefragt. Nun sitzen die beiden Kenianer bunt gewandet im Rampenlicht der Bühne. Wer schon mal in Ostafrika war, fühlt sich durch das bunte Tuch in den Urlaub versetzt. Nur die Sandalen aus Autoreifen fehlen.
Doch anders als vom Reisebus aus kann man dem Ehepaar aus dem Busch hier Fragen stellen. Es spricht Englisch, beide konnten zur Schule gehen - das ist nicht selbstverständlich für das Hirtenvolk, das noch heute nomadisch lebt, und erst recht nicht für eine Massai-Frau. Die Besucher des Abends haben viele Fragen. Der Rundfunkjournalist Andreas Malessa, der ein Buch über das Leben von Ole Ronkei geschrieben hat ("Mein Herz in Afrika"), übersetzt launig.
Nachdem Malessa, ein Freund von Pfarrer Fabian Vogt, schon mal in der evangelischen Kirche Oberstedten zu Gast war, hat ihn nun eine Lesereise durch Deutschland hergeführt. Mit sonorer Radiostimme liest er Passagen aus seinem Buch, zwischendrin interviewt er das Paar. Und man sieht: Es ist möglich, über das finster dreinblickende Buschvolk mit den archaischen Lebensweisen eine witzige Geschichte zu schreiben.
Ole-Ronkeis Geschichte ist die eines Wunders. Normalerweise hüten Massai-Jungen die Ziegen und werden Krieger. "Schule war für uns was Außerirdisches", sagt er. Als Einziger der Familie wurde er hingeschickt. Für ihn kein Grund zur Freude: "Ich fühlte mich als schwarzes Schaf der Familie." Dem Publikum gefällt die Redensart aus dem Mund eines Schwarzen.
Ein Stipendium für arme Jungen ermöglichte es ihm, zwölf Jahre zur Schule zu gehen. Zum Studium fehlte ihm ein einziger Punkt - er ackerte hart, betrieb Fundraising und ging in den USA an die Uni. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ronkei bereits seine jetzige Frau kennengelernt. Zu diesem Thema holt Malessa die Fachfrau auf die Bühne. In Deutschland dürfen Massai-Frauen selbst reden. "Ich wollte einen Gebildeten", erzählt Renoi Ronkei. Sie selbst hatte ein Stipendium.
Ole-Ronkei musste den Massai-Brautpreis für sie bezahlen: neun Kühe, eine Ziege und ein Schaf. Die Rinder - für das Hirtenvolk, das sich von Blut und Fleisch ernährt, das Kostbarste überhaupt - bleiben Running Gag an diesem Abend. "Wie viele besitzt du?" fragt Malessa Ole-Ronkei. "Ich frage dich ja auch nicht, was du auf dem Konto hast", kontert der Massai. Als es um die Freunde seiner Töchter geht, nennt Ole-Ronkei die Bedingung: 45 Kühe müssten die Aspiranten zahlen.
Den Zuhörern gefällt’s - wie überhaupt die Kombination aus Archaischem und Moderne, die die beiden verkörpern. Mit ihren fünf Kindern im Alter zwischen 14 und 26 Jahren, die alle in den USA leben, skypen die Ronkeis, die etwa 54 (Ole-Ronkei) und 46 Jahre alt sind - der Zeitpunkt ihrer Geburt wurde nicht festgehalten. Sie selbst wohnen wieder in Kenia - allerdings in einem festen Haus, nicht mehr im Busch.
Ole-Ronkei setzt sich im Kinderhilfswerk "Compassion" (www.compassion-de.org) für arme Kinder aus der ganzen Welt ein. "Werden da auch Mädchen gefördert?", fragt eine Besucherin. "Knapp 60 Prozent der Geförderten sind mittlerweile Mädchen", so die überraschende Antwort. Die Geschichte der Ronkeis, die selbst gefördert wurden, zeigt, wie segensreich eine Patenschaft sein kann.